Ob ich selbst noch bei Sinnen war, als ich den Lauf in meine Planungen aufnahm, weiß ich nicht mehr. Je näher der 24.05. rückte, desto mehr zweifelte ich jedoch daran.
Immerhin summieren sich laut Ausschreibung zwischen dem Start in Winterberg und dem Ziel am Briloner Marktplatz knapp 1000 Höhenmeter aufwärts und fast 1200 Höhenmeter abwärts.
Trotz fehlender Läufe um drei Stunden in der direkten Vorbereitung und des für mich ausgefallenen, als Test gedachten Hermannslaufes hielt ich jedoch an meinem Vorhaben fest.
Schließlich hatte ich meinem Opa, dem Sport immer wichtig war, versprochen, ihm diesen Marathon zu widmen.
Er weiß es aber wahrscheinlich nicht, denn das Versprechen gab ich ihm erst an seinem Grab; er ist Anfang des Jahres verstorben.
Der Rothaarsteig ist ein 154 km langer Wanderweg. Er führt über den Kamm des Rothaargebirges und verbindet, garniert mit 3139 Höhenmetern, Brilon im Sauerland über das Wittgensteiner Bergland und das Siegerland mit Dillenburg am Fuße des Westerwaldes.
Er wird auch der Weg der Sinne genannt.
Diesen Slogan wollte ich mir zum Motto meines Laufes machen und den Weg mit allen Sinnen genießen, ohne besondere zeitliche Ambitionen zu haben.
Ich wollte in die Ferne blicken, Bäume riechen, klare Luft schmecken, das Profil in den Beinen spüren.
Die gut einstündige Anfahrt nach Brilon führte gegen Ende auch über die A 445.
Die Landschaft war grün und leicht bergig, lange Brücken überspannten die Täler. Wer das Sauerland nicht kannte, ahnte spätestens jetzt, was ihn erwarten würde.
Gut in der Zeit kam ich in Brilon an und fand für mein Auto auch einen Unterschlupf in der Nähe des Marktes, wo später der Zieleinlauf sein sollte. Auf dem gebührenpflichtigen Parkplatz herrschte an diesem Tag Parkschein-Anarchie. Nirgendwo sah ich einen Parkschein hinter der Scheibe. Das hätte auch nicht viel gebracht, denn die Höchstparkzeit belief sich auf 4 Stunden. Einschließlich des Läufertransportes nach Winterberg kann man das nicht schaffen. Das dachten sich die anderen Läufer wohl auch. Ich schloss mich der nicht-zahlenden Mehrheit an und hoffte auf gnädige und läuferfreundliche Politessen. Außerdem hatte ich mal gehört, dass es bei der Verwarnungsgeldberechnung preiswerter sein soll, erst gar keinen Parkschein zu haben als die Parkzeit zu überziehen. Aber dass nur nebenbei.
Die Nachmeldung vor Ort in der Briloner Sparkasse erfolgte problemlos und ich erstand danach noch ein Erinnerungs-Shirt.
Um 10:45 Uhr wurde dann das Marathon laufende Volk mit Bussen zum Startort Winterberg kutschiert. Während der Fahrt blieb genug Zeit, sich seine Mitfahrer und -läufer anzuschauen.
Fast ausnahmslos männliche Teilnehmer.
Fast ausnahmslos älter wirkende Teilnehmer
Fast ausnahmslos fitter wirkende Teilnehmer.
Darunter auch "Exoten" wie der graubärtige Herr mit dem zusammengebundenen Zopf und dem karierten Hemd, dem ein Brötchen halb aus der Hemdtasche herausragte.
In Winterberg war dann noch ausreichend Zeit, seinen Flüssigkeitshaushalt in beide Richtungen zu regulieren, bevor dann um 12:00 Uhr der Startschuss fiel, der keiner war. Der Schuss ging erst los, als meine Ohren auf Waffenhöhe waren.
Ungefähr 180 Zwei- und einige Vierbeiner machten sich auf die Strecke. Zunächst wurden meine Hörsinne auf die Probe gestellt, denn ein Urviech von Hund bellte in meiner Nähe lautstark und anhaltend seine Freude ins Sauerland.
Bereits nach kurzer Zeit war das Läuferfeld im Grünen und konnte die ersten Weitblicke genießen, sofern man die Muße dazu hatte. Die Route führte nach kurzer Zeit auch knapp an der Ruhrquelle vorbei, die man vom Weg aus sah. Einen Abstecher sparte ich mir aber.
Zwischendurch gab es wieder ein anderes Hundeerlebnis. Das Kerlchen war noch voller Tatendrang, zog kräftig an der Leine und hechelte, was das Zeug hielt. Dummerweise einen Meter hinter meinen Waden. Auch für Hundefreunde eine recht nervige Sache. An einem Pfahl mit dem Rothaarsteig-Symbol hüpfte ich deshalb für ein Handy-Foto mal kurz zur Seite und ließ auch das sechsbeinige Gespann vorbei.
Der taktische Schachzug ging aber leider nicht auf, da der kleine Zottel in der nächsten Schlammpfütze ein Bad nahm und damit genau in dem Moment fertig war, als ich an dieser Stelle ankam. Er hechelte dadurch zunächst weiter direkt hinter mir.
Interessant war es, im mich umgebenden Läuferfeld die unterschiedlichen Taktiken, Stärken und Laufstile zu beobachten. Da war zum Beispiel der trinkbegürtelte Jungspund mit MP3-Player, der bergab und auf gerader Strecke immer an mir vorbei zog. An der nächsten Steigung lief ich aber stets wieder an ihm vorbei, obwohl ich es ruhig angehen ließ.
Der Hundemann war zunächst etwas schneller als ich, wurde aber durch die Schlammbäder seines Vierbeiners immer wieder gebremst, so dass wir lange Zeit nahe beieinander waren.
Ich für meinen Teil versuchte gleichmäßig zu laufen und die Natur zu genießen, soweit das möglich war. Denn oft forderte die Strecke volle Konzentration. Es ging über Waldwege, die häufig mit Wurzeln und Steinen gespickt waren. Schotterpassagen gab es auch. Und Wege mit von Forstfahrzeugen tief ausgefahrenen und getrockneten Furchen.
Die Strecke führte meist durch den Wald, manchmal auch durch offeneres Gebiet. An mehreren Stellen, an denen Orkan Kyrill im Vorjahr Mikado gespielt hatte, ergaben sich weite Blicke in das Sauerland.
Sehr schön war auch eine Hochheide, die durchlaufen wurde. Dort wunderte ich mich zunächst über Läufer, die mir entgegen kamen. Aber dies waren wohl Teilnehmer des 26-Kilometer-Laufes, die sich warm liefen. Dieses Feld wurde auf die Reise geschickt, als ich ein Stück an deren Startbereich vorbei war und ein paar Minuten später wurde es dann von hinten wieder lebhafter auf der Strecke.
Die Sinne waren alle beschäftigt. Die Augen beschäftigten sich mit Strecke und Aussicht, die Ohren mit herannahendem Läufergetrappel. Auch der Nase wurde Abwechslung geboten. Mal nahm sie den Duft warmer Erde wahr, mal den typischen Waldgeruch, kurz das knoblauchartige Aroma von Bärlauch und manchmal auch den Duft frisch gewaschener Läuferklamotten, wenn ich überholt wurde.
In der Nähe der Bruchhauser Steine, die als Felsformation die Bäume überragten, stießen dann auch die 16-Kilometer-Läufer in das Teilnehmerfeld.
Ich fühlte mich langsam wie eine ausgepresste Zitrone und freute mich auf die Verpflegungsstellen, die etwa alle 5 Kilometer aufgebaut und mit Wasser, Tee, Cola, Obst und freundlichen Helfern bestückt waren.
Die fehlenden langen Läufe rächten sich jetzt und die Gehpausen wurden häufiger, auch weil die Waden erste Krampfneigungen meldeten. Bergauf ging ich jetzt meistens zügig und lief nur noch auf geraden und abfallenden Passagen. Das Wetter hatte daran keine Schuld. Mit gut 20 Grad war es zwar für meinen Geschmack eigentlich zu warm, aber durch einen leichten, kühlenden Wind auch für mich recht angenehm.
Ein paar Salztabletten und leicht abfallendes Asphaltstück, auf dem sich hindernisfrei laufen ließ, taten richtig gut. Dort konnte ich es mit wieder krampfneigungslosen Waden rollen lassen und etwas Zeit gutmachen, aber die Freude war nur von kurzer Dauer, denn dann kam der nächste Anstieg.
Ich wunderte mich über wohl falsch platzierte Kilometerschilder, die oft nicht mit den Kilometerangaben meines GPS-Gerätes harmonierten, und freute mich auf das Ziel. Aber das ließ noch auf sich warten. Die Route verließ den Grünbereich und führte in den Briloner Stadtrand. Mein Handgelenktacho hatte die 42,2 km bereits überschritten, aber vom Ziel war noch nichts zu sehen. Um mein bescheidenes Zeitziel zu erreichen, musste ich dann doch noch etwas Gas geben, erreichte den Zielbogen auf dem Briloner Marktplatz aber innerhalb des persönlichen Limits, ließ mir die Medaille umhängen und vernichtete erst einmal den Inhalt mehrerer Getränkebecher.
Nachdem ich den Kleiderbeutel geholt, eine Katzenwäsche erledigt, trockene Sachen angezogen und die im Startgeld enthaltene Nudelportion verdrückt hatte, ließ ich den Marathontag mit einem wohlverdienten bleifreien Bier auf dem schönen Marktplatz ausklingen und lauschte noch ein paar Songs der Band "Maraton" - ohne "h" -, bevor ich mit dem knöllchenfrei gebliebenen Auto den Rückweg Richtung heimische Dusche antrat.
Ganz so viele Höhenmeter wie in der Ausschreibung standen zeigte mein GPS-Gerät nach der Datenkorrektur dann nicht an, sondern "nur" 773 aufwärts und 975,5 abwärts führende. Dafür war der Lauf aber offensichtlich etwas länger als die klassische Marathondistanz. Gut 43 Kilometer hatte ich hinterher auf dem Tacho, fast alle davon landschaftlich schön.
Mein bescheidenes Ziel hatte ich an diesem Tag jedenfalls erreicht und war ganz zufrieden mit mir.
Auch Opa wäre zufrieden gewesen, denke ich.
I wie Iserlohn
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Für den Buchstaben I musste ich nicht weit fahren: etwa 20 Kilometer
Richtung Osten und ich war in Iserlohn, der mit rund 100.000 Einwohnern
größten Stadt ...
7 Kommentare:
Gut gemacht, Jung' ! Schöner Bericht (wie immer).
Glückwunsch zum "kein Knöllchen" :-)))
Gruß vom
Highopie
Hi, Stefan,
schöner Lauf
schöner Bericht
schöne Landschaft
schöne Steigungen
und Freude für dich, was will der Läufer mehr ?
Liest sich wirklich schön, Dein Bericht.
In den Niederlanden bitte das mit dem Parkzettel nicht machen - wir haben für 1 Stunde ohne Parkuhr nun einen 50-Euro-Strafzettel.
Aber die Sauerländer sind ja nicht so... die haben ja auch Berge;-)
@ Torsten & Margitta: Danke!
@ Anja:
> In den Niederlanden bitte das mit dem Parkzettel nicht machen - wir haben für 1 Stunde ohne Parkuhr nun einen 50-Euro-Strafzettel.
Kenn ich... :-[
> Aber die Sauerländer sind ja nicht so... die haben ja auch Berge;-)
...und Niederländer! ;-)
Ich werde im Sauerland mal einen Antrag einreichen, dass sie zwar Läufer verschonen aber Niederländer dafür mehrfach bestrafen sollen;-) Schließlich verbrauchen die ja auch "unsere" Berge;-)
> Ich werde im Sauerland mal einen Antrag einreichen, dass sie zwar Läufer verschonen aber Niederländer dafür mehrfach bestrafen sollen;-) Schließlich verbrauchen die ja auch "unsere" Berge;-)
Vielleicht "Waldmaut" als "Rache" für überzogene Bußgelder?
Wäre mal einen Gedanken wert... :-)
Die Bildchen geben dem Bericht dann noch die Würze.
Jörg
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