Vorgeplänkel:
Der Röntgenlauf. 63,3 Kilometer durch das bergige Bergische Land. Mein Ziel seit 2 Jahren.
2007 und 2008 habe ich die Teilnahme aus verschiedenen Gründen canceln müssen.
Jetzt, 2009, sollte es endlich soweit sein. Den Termin am 25.10. hatte ich mir frühzeitig als Höhepunkt meines Laufjahres notiert, doch die Vorbereitung verlief nur mittelprächtig.
Geplante Trainingsmarathons fielen erkältungsbedingt aus, beim Sammeln von Höhenmetern musste ich zurückstecken, der 6-Stunden-Lauf zwei Wochen vor dem Röntgenlauf verlief eher suboptimal und auch das Gewicht war höher als es sein sollte.
Meine Gefühlswelt schwankte in den Vorwochen zwischen Vorfreude und Respekt vor der Strecke, zwischen Zuversicht und Angst vor einem DNF, zwischen Hoffen und Bangen.
Läufe über 63,3 km und mehr hatte ich in den letzten Jahren zwar schon ein paar absolviert, aber immer ohne wirklichen Zeitdruck. Auch Läufe mit ordentlich Höhenmetern hatte ich schon hinter mir, aber nie weiter als die Marathondistanz. Diesmal sollte alles zusammenkommen.
Mir war klar, dass ich wohl am Ende des Feldes rumkrebsen würde und dass sowohl die geforderte Marathon-Durchgangszeit von 5:30 Stunden als auch der offizielle Zielschluss von 9:00 Stunden ein Problem werden könnten.
Doch kneifen wollte ich nicht, sondern mich der Herausforderung stellen und kämpfen.
Wer kämpft kann verlieren.
Wer nicht kämpft, hat schon verloren.
Nachdem ich am Vorabend bereits meine Zehen abgetaped hatte schlief ich mit einem guten Gefühl ein. Die Zweifel waren zurückgedrängt, die Vorfreude auf den Lauf überwog. Der Zieleinlauf beim Ultra war fest in meinem Hirn verankert. Das war das Ziel.
Ich spürte, dass es ein besonderer Tag werden könnte, dass ich mein Ziel erreichen kann.
Der Wille war da.
Yes, i can!
Der Lauftag:
Da ich früh genug am Sportzentrum Hackenberg in Remscheid-Lennep eintraf fand ich auch noch problemlos einen Parkplatz, traf auf Horst an seinem Schuhsenkel-Stand, quatschte kurz mit Pete und holte als Voranmelder warteschlangenlos unter dem Schild „Ultramartathon“ meine Startnummer ab. Ob das zusätzliche „t“ mitten im Wort ein Streich des Fehlerteufels war oder sich vielleicht von „Marter“ ableitet blieb mir leider unbekannt.
Ein Tombolalos durfte ich auch ziehen. „Leider verloren“. Hoffentlich kein Omen für den Lauf...
Mit der Startnummer gab es auch das chice Röntgenlauf-Funktionsshirt. „Fällt klein aus“ sagte man mir. „Stimmt“ merkte ich bei der schnellen Anprobe, kurz vor dem komischen reißenden Geräusch im Gewebe. Die Shirts waren wohl eher was für schmale Schultern.
Mit breiten Schultern stand ich dann um 8:30 Uhr im Startbereich. Bereit, es mit den 63,3 Kilometern und den ungefähr 1000 Höhenmetern – die Angaben variierten da – aufzunehmen.
Um mich herum mehrere hundert Läufer mit weiß unterlegten Startnummern für den Halbmarathon, grün unterlegten für die Marathondistanz und denen auf blauem Grund für die volle Dröhnung.
Das Wetter präsentierte sich nahezu optimal: ca. 14° C und trocken. So durfte es gerne bleiben – was es dann auch tat.
Nach dem Start kam dann fast sofort der erste Anstieg, bevor es auf eine Schleife hinunter nach Remscheid-Lennep ging. Irgendwo vor mir am Berg sah ich „Kolibri“ von den Streakrunnern und eine Gruppe der Dortmunder „Endorphinjunkies“, verlor sie aber zunächst wieder aus den Augen.
Auf einem Bergabstück kam mir das Spitzenfeld schon wieder entgegen. Meine Augen scannten das entgegenkommende Laufvolk nach bekannten Gesichtern ab – leider vergeblich.
Lennep beeindruckte durch eine nette Atmosphäre mit schieferverkleideten Häusern, grünen Fensterläden und anfeuerndem Publikum.
Nachdem es nach einer kleinen Ortsrunde den Berg wieder hinauf und wieder hinunter ging und man nach ungefähr 5 Kilometern wieder an Startbereich vorbei kam ging es hinaus ins Ländliche auf den Röntgenweg, dem der Großteil der Laufstrecke folgte. Das noch dicht zusammen laufende Feld zog sich zunächst einen langen Wirtschaftweg hinunter.
Im weiteren Verlauf ging es immer wieder rauf und runter. Manchmal auch etwas steiler oder auf steinigen und rutschigen Wegen, aber es waren auch immer wieder flachere Passagen dabei. Ungefähr alle 5 Kilometer gab es Verpflegungsstationen, die ich von Anfang an konsequent nutzte.
An vielen Ecken, vor allem wenn man an kleinen Siedlungen vorbei kam, standen Leute und machten Stimmung. Dazu wurde auch schon mal ein Ölfass malträtiert. Und irgendwo stand tatsächlich eine Trommelgruppe und verbreitete Rhythmus übers Land.
Auffällig waren aber auch die kleinen Megaphone, aus denen überall „We are the Champions“ quäkte. Wenn man gerade eins hinter sich hatte hörte man fast schon das nächste. Das hatte was von „Hase und Igel“.
Zwischendurch traf ich mal kurz auf Mattin von den Endorphinjunkies und Streakrunner „Kolibri“ und quatschte ein paar Worte. Aber auch ohne sonstige Gespräche verlief der erste Teil des Laufes recht abwechslungsreich. Mal über Land, mal durch den Wald oder einen kleinen Park. Das Ganze gelegentlich auch mit Fernblick oder rutschigen Pfaden.
Irgendwo, wohl so bei Kilometer 18, stand dann ein Schild, das auf eine „Prosecco-Pause in 300 Metern“ hinwies. Was ich für einen Scherz hielt war aber Realität: mitten im Wald am Hang gab es den privaten Proseccostand tatsächlich.
Ich beschränkte mich während des Laufs bei der Flüssigkeitsaufnahme allerdings lieber auf Tee, Iso und später Cola und ließ deshalb die Finger von der Puffbrause.
Nach 265 Metern auf- und 420 Metern abwärts erreichte ich nach etwa 2:30 Stunden das Halbmarathonziel am Clemenshammer. Während die meisten Starter das Rennen hier nach 21,1 Kilometern unter dem Applaus des Publikums beendeten ging es für die Marathonis und Ultramarathonis nach rechts Richtung Wald.
Schlagartig war es ruhig, das Teilnehmerfeld ausgedünnt.
Ich fühlte mich noch ganz gut und war im Soll: bis zum „Cut Off“ am Marathonziel hatte ich jetzt 3 Stunden für den nächsten Halbmarathonabschnitt. Das sollte reichen, zumal ich vorher irgendwo etwas von „Erholungsdrittel“ gelesen habe und Teil 1 eigentlich schon nicht sonderlich schwer fand. Auch das Höhenprofil sah mit 272 Metern hoch und 229 Metern runter nicht so wild aus.
Ich sollte mich täuschen. Es kam mir so vor, als wäre es dann zumindest anfangs des Mitteldrittels fast nur noch auf und ab gegangen. Meistens nicht steil, aber flache Erholungspassagen hatten Seltenheitswert. Ich fand keinen Rhythmus, meine Oberschenkel wurden „sauer“ und Gehpausen immer häufiger.
Irgendwo lief ich auf einen Pfad zu, der sich in zackigen Serpentinen den Berg hochzog und mit Stahlgeländern gesichert war. Mit entfuhr irgendwas wie „Die sind wohl bekloppt!“ – aber es half ja nichts. Teilweise hatte ich selbst Mühe zu gehen und musste kurz mal stehend verschnaufen.
Der Blick zur Uhr bei Kilometer 30 verhieß dann nichts Gutes: mit 3:54 Stunden lag ich genau in dem Schnitt, der so eben das Tor in den dritten Abschnitt öffnen und den „Cut Off“ am Marathonziel verhindern sollte, wurde aber immer langsamer. Oh oh – das würde wohl knapp werden. Aber ich hoffte auf ein paar Minuten Toleranz.
Etwas erfreulicher war da schon der imposante Blick auf die Müngstener Brücke, ebenfalls ungefähr bei Kilometer 30, die dort auf 465 Metern Länge über die Wupper und auch den Röntgenweg führt. Mit 107 Metern ist sie die höchste Stahlgitterbrücke Deutschlands.
Wenig später konnte man an einem Verpflegungsstand auch noch einen Blick auf Schloss Burg erhaschen.
Um mich herum waren jetzt nur noch wenige Läufer. Drei sah ich aber immer wieder, die ebenfalls zwischen Gehen und Laufen wechselten. Mit einem von ihnen, einem Holländer, kam ich während einer gemeinsamen Gehpause ins Gespräch. Er beschrieb seinen Zustand recht passend mit „The hills killed me“. Ich konnte mich dem, auf mich bezogen, nur anschließen.
Wie ich den dritten Halbmarathon überstehen wollte wusste ich nicht. Meine Oberschenkel wollten einfach nicht mehr. Ich trieb mich aber immer wieder zum Laufen an, auch wenn ich inzwischen schon auf Flachpassagen manchmal gehen musste.
Irgendwo – räumlich für mich nicht mehr zuzuordnen – gab es auch noch ein Stück Weg, der offensichtlich neu gemacht wurde und mit einer feinen, schmierigen Lehmschicht überzogen war. Bei jedem Schritt bin ich, wie auf einer Sanddüne, wieder ein Stück zurück gerutscht.
Als ich dann bei Kilometer 40 bereits 5:30 Stunden unterwegs war wusste ich, dass es das wohl endgültig für mich war. Das Marathonziel würde ich deutlich über der geforderten Durchgangszeit und einer möglichen Toleranzgrenze erreichen, eine Ultra-Endzeit von unter 9 Stunden utopisch sein.
Die Sache war gelaufen, der Drops gelutscht.
Der Kopf begann sich auf die letzten 2 Kilometer und das vorzeitige Ende einzustellen.
Die anderen drei Läufer waren inzwischen schon ein Stück vor mir und außer Sichtweite. Ich war allein, wollte den Lauf aber in Würde zu Ende bringen und brachte die Oberschenkel immer wieder zum Laufen. Nach ungefähr 5:46 Stunden erreichte ich das Marathonziel im Freibad Eschbachtal.
Das war’s. Aus der Traum. Ende im Gelände.
Der Geist war willig, aber das Fleisch war schwach.
Ein wenig wunderte ich mich noch über den nicht gesperrten Durchlaufkanal für die Ultraläufer, sortierte mich aber brav im Zielkanal für die Sportler ein, die den Lauf hier beendeten. Der Sprecher erzählte was von „Hier kommt Stefan Schirmer vom team.laufloewe.de. Er will sich die letzten 21,1 Kilometer auch nicht mehr antun“.
„Will“? Wieso „will“, dachte ich. Ich dürfte doch auch gar nicht mehr, bin doch schon längst über der Sollzeit!
Ich lief über die Zeitnahmematte, nahm Medaille und Glückwunsch eher beiläufig entgegen, machte mich auf dem Schwimmbadklo etwas frisch und trottete zum Verpflegungsstand. Nach einem Shakehands mit meiner temporären holländischen Laufbegleitung, die auch vorzeitig ausgestiegen war, biss ich lustlos in eine „Marathonschnecke“ und bestellte mir ein bleifreies Weizenbier.
Am Rande bekam ich mit, dass andere Läufer weiterhin in das letzte Drittel gingen und erfuhr dann, dass die Marathon-Sollzeit um 20 Minuten verlängert worden ist. Na toll – hätte ich das mal vorher gewusst…
Ob das an meinem vorzeitigen Laufende etwas geändert hätte, weiß ich nicht. Die Oberschenkel waren wirklich ziemlich geschlaucht und es wäre sicher eine ziemliche Qual geworden. Aber vielleicht hätte ich es wenigstens versucht, möglicherweise sogar geschafft.
So nahm ich etwas frustriert den Shuttlebus zurück zum Sportzentrum, wo strahlende Ultraläufer ihr Ziel erreichten. Das wollte ich mir aber nicht mehr ansehen, sondern verdrückte mich in die Halle. Pete, den ich zu seinem hervorragenden Ergebnis gratulieren wollte, traf ich leider nicht mehr, aber dafür Frank, den schnellen Feuerwehrmann, und Walter von den Viermaerkern aus Dortmund.
Anschließend ging’s dann Richtung Badewanne nach Hause.
Mit ein bisschen Abstand zum Lauf denke ich, dass ich mir nichts vorwerfen muss. Der Wille zum Finish war da und ich habe gekämpft. Aber eben verloren.
Zumindest sehe ich das so, auch wenn ich natürlich trotzdem einen nicht einfachen Marathon beendet habe.
Aber ich will es noch einmal versuchen, wahrscheinlich schon nächstes Jahr.
Denn ich weiß, dass ich es kann.
Yes, i can!
PS: Sorry für die teils schlechte Fotoqualität, aber aus der Bewegung heraus ging es manchmal nicht besser.