Der Blick in meine Aufzeichnungen verriet es: der letzte Marathon im Bummeltempo lag schon fast 1 Jahr zurück, der letzte Ultra-Lauf gar über eineinhalb Jahre und der erste und bisher einzige 24-Stunden-Lauf (ohne Zeitnahme) nahezu drei Jahre.
Diese Pausen waren definitiv zu lang.
Es war Zeit für ein „Comeback“.
Zeit, wieder Wettkampfatmosphäre zu schnuppern.
Zeit, die besondere Stimmung eines Rundenlaufes zu genießen.
Zeit, wieder einmal eine läuferische Herausforderung zu wagen.
Und eine Herausforderung würde es mit Sicherheit werden, das war klar, zumal die Vorbereitung nach dem laufminimalistischen Herbst und Winter, zahlreichen Trainingsplanlücken und gerade mal gut 24 km als längstem Lauf in der direkten Vorbereitung suboptimal und eigentlich noch nicht einmal marathongerecht war.
Angesichts dieser Voraussetzungen mag einem die Idee, das „Ultra-Comeback“ ausgerechnet bei einem 24-Stunden-Lauf zu versuchen, nicht nur als leicht übertrieben, sondern als ziemlich bekloppt vorkommen.
Aber der Reiz war stark; ich wollte es zumindest versuchen, zumal der Veranstaltungsort, der Iserlohner Seilersee, quasi vor der Haustür lag und ich die Stimmung des Vorjahres, als ich ein paar Seerunden mitgelaufen bin, noch sehr positiv in Erinnerung hatte.
Meiner mageren Vorbereitung entsprechend wollte ich das Ganze jedoch primär als „Trainingslauf“ angehen und die Erhaltung der Gesundheit über den Ehrgeiz stellen.
Bestimmte Erwartungen hatte ich also nicht, aber natürlich im Hinterkopf trotzdem Hoffnungen und Wünsche. Wenn alles positiv lief wollte ich mir deshalb zwischenzeitliche Zielsetzungen vorbehalten.
In den letzten Tagen vor dem Lauf stiegen Spannung und Vorfreude parallel mit den Haufen an Laufklamotten und Lebensmitteln im Flur. Ich wollte ja für alle Fälle gerüstet sein und packte wieder alles Mögliche ein. Die meisten Sachen brauchte ich dann im Endeffekt nicht, aber einige wichtige fehlten auch. Dazu später.
Am 25. April war es dann endlich soweit. Nach kurzer Fahrt und vielen „Hallos“ vor Ort schleppte ich meinen Liegestuhl, die Kühltasche und die Wechselsachen ins Ruhezelt im Stadion. Schlafen wollte ich ja nicht, aber Sitzpausen wollte ich mir schon gönnen.
Pünktlich um 12 wurden dann die Läufer bei Sonnenschein und Temperaturen um die 25° C auf die erste Runde geschickt. Unter ihnen 6-, 12- und 24-Stunden-Läufer sowie Staffeln und „Free-Runner“, die so lange laufen durften wie sie wollten.
An den reichlich gefüllten Verpflegungspavillons und dem Ruhe- und Massagezelt vorbei ging es für circa 100 Meter auf eine Tartanbahn, bevor nach einem kleinen Stück Weg und einem kleinen Anstieg der Seilersee erreicht wurde. Immer nah am See ging es dann, über eine Holzbohlenbrücke und vorbei an Gartenanlagen, auf einen weiteren kleinen Anstieg und eine Linkskurve zu. Danach führte der Weg, zunächst leicht bergab, schattig gelegen durch den Waldrand, bevor es eine kleine Rampe wieder links runter direkt zum Ufer ging. Nach einem weiteren leichten Anstieg und einem weiteren Linksschwenk ging es dann schon wieder Richtung Stadion. Rechtsknick, Linksknick, Zeiterfassung – die erste der 1788-Meter-Runden mit gut 10 Höhenmetern war beendet.
Ich lief recht locker meine Runden und freute mich als Kris, die Frau meines Herzens, für den Nachmittag an der Strecke erschien, sogar mit einem individuell bedruckten T-Shirt mit liebevollem Motivationsspruch für mich.
Später kam auch noch ein guter, alter Freund zu Besuch.
Ich nahm mir deshalb zwischen den Runden immer wieder ein paar Minuten Zeit für Plaudereien; Zeit hatte ich ja schließlich genug. Auch auf der Strecke wurde mit alten und neuen Laufbekanntschaften geplaudert.
Bei mehrstündigen Läufen auf kürzeren Runden ist das ja meistens gut möglich und einer der Gründe, warum ich solche Läufe so gerne mache.
Wegen der Wärme trank ich regelmäßig nach fast jeder Runde, verschmähte aber auch die anderen Angebote des gut gefüllten Verpflegungsstandes nicht.
Auch meine blasenmäßig vorgeschädigten Füße begutachtete ich regelmäßig und fettete nach.
Die ersten Problemchen stellten sich ungefähr bei Kilometer 17 ein. Die Waden wurden bereits müde und krampfig und die erste Gehpause war fällig. Viel zu früh. Und es wurde nicht besser.
Ungefähr nach 25 Kilometern steuerte ich dann für einen kurzen Check meinen Liegestuhl an, der aber bereits durch einen „Fremdsitzer“ besetzt war. Es stellte sich heraus, dass es sich wohl um den Leiter der aktuell tätigen Masseurmannschaft handelte, denn er bot mir – nicht ganz uneigennützig, um sitzen bleiben zu können – eine sofortige Wadenmassage durch seine Mitarbeiter an, die ich gerne annahm. Eine Win-Win-Situation, wie es ja so schön neudeutsch heißt. Denn nach der Massage ging es meinen Waden deutlich besser. Allerdings war die rechte Wade gelockert worden und bei der linken dann der Muskeltonus erhöht, nachdem man erfuhr, dass ich ja noch weiterlaufen wollte.
Meine Befürchtung, jetzt eine langsame und eine schnelle Wade zu haben und nur noch kleine Kreise laufen zu können erfüllte sich jedoch zum Glück nicht. ;-)
So verliefen die nächsten Kilometer locker mit laufen, gehen, essen, trinken und plaudern.
Richtiges Wellness-Jogging.
Und so dauerte es auch fast 7 Stunden bis ich die Marathondistanz hinter mir hatte.
Kurz danach gab es bei der regelmäßigen Fußinspektion den ersten Pflasterwechsel am vorgeschädigten Zeh.
Um kurz nach 20:00 freuten sich die Läufer dann über Nudeln und Brühe.
Frisch gestärkt machte ich mich dann auf in Runde 27 und musste danach feststellen, dass sich eine Blase an der rechten Ferse gebildet hatte. Mit abgetapeter Ferse ging es dann weiter.
Irgendwann zwischen 21 und 22 Uhr hatte es die linke Ferse der rechten gleich getan und präsentierte eine prall gefüllte Blase. Für Blasenpflaster definitiv zu groß.
Damit war ich erst mal raus aus dem Rennen. Und die Ursachenforschung hat ergeben, dass vermutlich der aufgeribbelte Stoff im Fersenbereich meiner recht alten Laufschuhe, die ich für den Lauf ausgewählt hatte, die Blasen verursacht hatte. Unter dem linken Fußballen drohte sich an einer Druckstelle auch gerade eine dicke Blase zu entwickeln.
Weiterlaufen wollte ich so wegen der mehrtägigen, schmerzhaften Erfahrungen vom 24-Stunden-Lauf in Bad Lippspringe nicht. Damals konnte ich eine Woche nicht richtig gehen und diesmal wollte ich es soweit nicht kommen lassen. Es ging ja für mich auch um nichts.
Trotzdem war dies natürlich eine ärgerliche Situation. Ich versuchte, irgendwo eine sterile Spritze aufzutreiben, um die Flüssigkeit aus der Blase zu ziehen.
Ein Sanitäter war aber leider nicht aufzutreiben und die Staffel laufenden Feuerwehrleute hatten so etwas leider auch nicht im Equipment.
Ich kauerte mich etwas frustriert in meinen Liegestuhl und sah den anderen beim Laufen zu.
Durch Zufall konnte ich aber später noch eine sterile Kanüle bekommen und mir mit ulkigen Beinverrenkungen im Lichte einer Stirnlampe die Blasen damit auf machen und abtapen.
Um 01:15 war ich mit anderen Laufschuhen an den Füßen bereit für einen zweiten Versuch.
Der Körper hielt aber dann noch eine neue Überraschung für mich bereit. Seitenstichartige Schmerzen erst rechts seitlich am Brustkorb und hinterher an beiden Seiten, so dass ich beim Laufen nicht richtig durchatmen konnte und gehen musste.
Ich gönnte mir deshalb gegen 02:30 eine zweite Massage, diesmal am Rücken.
So richtig geholfen hat sie zwar nicht, aber mit eher hängenden Armen ging es dann so einigermaßen. Gegen 3:35, nach 37 Runden, also gut 66 Kilometern, nahm ich mir noch eine Auszeit im Liegestuhl, bei der ich, leicht fröstelnd, vielleicht auch ein paar Minuten geschlummert habe. Meine Blasen hatten sich inzwischen wieder prall gefüllt.
Gegen 4:20 ging es beim ersten Vogelgezwitscher wieder auf die Strecke, die im Bereich des Waldstückes durch das THW ausgeleuchtet war.
Mein Kreislauf befand sich allerdings im Keller, so dass ich am ganzen Körper gezittert habe wie Pinocchio bei Windstärke 6 und kurz vor Ende der Runde ins Auto geflüchtet bin, wo ich noch ein Stündchen unter der warmen Decke verbracht und wohl auch noch einen Moment geschlummert habe.
Ich hatte mir jedoch den Wecker gestellt, denn ich wollte den Lauf in den Sonnenaufgang nicht verpassen. Es war angenehm mild, die Sonne ließ sich jedoch bis zur dritten Runde Zeit und von „Lauf“ konnte auch keine Rede mehr sein. Nur noch langsames Gehen war möglich und deshalb war für mich gegen 7:30 nach 41 Runden der Lauf im Prinzip endgültig beendet.
Meine Verwandtschaft und Kris, die später eintrafen, konnten mich dann auch nicht mehr laufend sehen. Aber eine gegangene „Abschiedsrunde“ in Schlappen zusammen mit Pete folgte dann doch noch.
Im Endeffekt hatte ich am Ende des Laufes um 12:00 also 42 Runden und somit 75.098 Kilometer auf der Guthabenseite.
Das ist für einen 24-Stunden-Lauf natürlich selbst für mein beschränktes Leistungsniveau wirklich nix Dolles. Es hätten trotz der mageren Vorbereitung deutlich mehr Kilometer werden können, aber ich bin ja quasi an der eigenen Blödheit gescheitert.
Warum habe ich mich auch nicht rechtzeitig um neue Schuhe gekümmert und bin in einem alten Paar Treter gelaufen, die eigentlich schon ausgemustert waren, sich aber trotzdem in der letzten Zeit zu meinen Lieblingsschuhen entwickelten?
Warum bin ich mit durchgelatschten Schuheinlagen gelaufen und habe mir nicht rechtzeitig die neuen Einlagen besorgt, um die Druckstelle unter dem linken Ballen zu vermeiden, obwohl ich das Rezept doch schon eine Weile hatte?
Warum habe ich nicht daran gedacht, mir für den absehbaren Fall von Blasen an den Füßen selbst eine sterile Spritze einzustecken?
Das waren Anfängerfehler, die mich im Nachhinein schon etwas ärgerten.
Aber das waren auch die einzigen Ärgernisse. Ansonsten habe ich den Lauf in vollen Zügen genossen.
Das lockere Laufen ohne Druck, die netten Gespräche, die Besuche an der Strecke, die angenehme Atmosphäre innerhalb der „Ultrafamilie“, die gute Versorgung, der Trubel im Stadion am Tag, die einsamen Seerunden in der Nacht.
Und auch das Ende der marathon- und ultralosen Zeit und die Erkenntnis, dass da trotz schlechter Vorbereitung noch viel mehr gegangen wäre.
Es war wirklich Zeit für dieses „Comeback“.
Und ich bin hungrig nach mehr.