Ich gehöre zwar schon zu den Senioren im Laufschuhregal meines Läufers, bin aber in Altersteilzeit und darf deshalb manchmal mit ihm an die frische Luft. Einige Kollegen fristen dagegen ein tristes Dasein in einer dunklen Ecke des Regals. Nach treuen Diensten ausgemustert und fast vergessen. Mein Läufer, der sentimentale Knilch, konnte sich nicht von ihnen trennen, weil er sie bei seinem ersten Volkslauf, seinem ersten Marathon oder sonst was am Fuß gehabt hat. Und vielleicht könnte er sie ja irgendwann noch einmal gebrauchen, hat er sich gesagt. Geglaubt hat er's wohl selbst nicht.
Aber jetzt sollte es tatsächlich wahr werden. Ein ausrangiertes Kollegenpaar sollte noch einmal Wettkampfluft und das Aroma verschwitzter Laufsocken schnuppern dürfen. Und das nicht bei irgendeinem Wettkampf. Nein, nein - es sollte der Strongman-Run in Weeze sein. Ein Lauf, bei dem sich mehr oder weniger bekloppte Läufer über mehr oder weniger 16 Kilometer mit Hindernissen quälen und mehr oder weniger Spaß dabei haben. Bestimmt richtige Helden, die sich auch Nasenhaare ohne Betäubung ausreißen. Oder Masochisten-Jogger.
Aber was soll ich sagen?? Die Kollegen wurden nach einem Testlauf für strongman-untauglich befunden, weil sie sich liefen wie zwei Pakete Parkett. Also schlug meine große Stunde und ich durfte ran - natürlich zusammen mit meinem Partner vom linken Fuß. Ich freute mich wie ein Kinderschuh auf den Lauf und die Hindernisse schreckten mich nicht ab. Schlamm? Kein Problem. Lieber im Schlamm stecken bleiben als im Regal verschimmeln. Wasser? Stört mich auch nicht. Ich bin zwar atmungsaktiv, muss aber nicht aktiv atmen. Nichts konnte mich schocken. Ich war auf dem Weg, ein Strongshoe zu werden.
Mit drei Laufbekanntschaften fuhr mein Läufer dann von Hagen nach Weeze am Niederrhein. Komische Typen liefen da rum, verkleidet wie zu Karneval. Mit rosa Tütü, in Unterwäsche, mit Perücken, "oben ohne", im Spiderman-Kostüm oder sogar zu fünft hintereinander in einem Raupenkostüm. Mein Läufer hatte zum Schutz vor Schürfwunden nur die Knie mit Bauklebeband abgeklebt und grausam geblümte Gartenhandschuhe an. Ansonsten sah er eigentlich recht normal aus.
Mit halbstündiger Verspätung wurde dann der Läuferpulk auf die Hindernispiste geschickt. Wir starteten fast am Ende des Feldes und standen in der ersten Kurve bereits im Läuferstau. Stop and go war angesagt, an Laufen nicht zu denken.
Nach einem flachen Stück zum Einrollen folgte dann das erste Hindernis: begrünte Bunker- oder Hallendächer, "Shelter" genannt, mussten überquert werden. Vorne laufend oder kraxelnd ein paar Meter steil hoch, hinten rutschend, pirschend oder laufend wieder runter. Im Laufe der zwei Runden kamen immer wieder welche. Insgesamt werden es wohl so dreißig gewesen sein, gefühlt einige mehr. Vor dem zweiten Hindernis, der "Klagemauer", war wieder Stau, worüber sich viele Läufer beklagten. Daher wohl der Name. Nach geschätzten 10 Minuten Wartezeit waren mein Läufer und ich dann aber auch an der Reihe. Über ein paar Strohballen ging es 6 Meter aufwärts, über die Mauerkrone und dann 2,50 Meter im Fall und über weitere Strohballen nach unten. Alles noch keine Herausforderung für einen Laufschuh.
Das änderte sich jedoch etwas später, als Sandhügel in Sicht waren, denn kurz vor den Hügeln gab es tiefen Schlamm. "Hoffentlich hat er meine Senkel anständig festgezogen" konnte ich noch eben denken, bevor es um mich herum dunkel wurde. Bei anderen Läufern sind einige Kollegen im Schlamm stecken geblieben. Mein linker Kollege und ich überstanden die Fangopackung aber problemlos, hatten unser Gewicht aber innerhalb weniger Sekunden durch den festklebenden Modder vervielfacht. Und ein paar Sekunden später wurden wir beim Überklettern von Sandhügeln noch ordentlich paniert. Schlamm und Sand gab es dann immer wieder mal.
Das Feld ausgelegter Altreifen war, wie vorher schon die Strohballen-Hürden, für mich recht unspektakulär und auch mein Läufer hielt sich meistens in der Senkrechten. Irgendwann kamen dann enge Betonröhren, die durchkrabbelt werden mussten. Das alberne Bauklebeband hatte sich inzwischen von den Knien meines Läufers verabschiedet. Da wird er sich wohl mal eine andere Klebetechnik überlegen müssen. Er versuchte, eine möglichst Schürfwunden vermeidende Technik zu finden und schrubbelte mit meiner Spitze über den Beton. Ab und zu eckte er mit seinem Hintern an, wurschtelte sich aber doch irgendwie durch.
Für mich wurde es erst ein paar Minuten später wieder heikel. Kniehohe Schlamm-Wasser-Gruben mussten durchquert werden. Um mich herum wurde es wieder dunkel, nass und kalt. Aber der große Junge, der mit seinem Fuß in mir steckte, hatte seinen Spaß. Ich hätte es ja gerne gesehen, wenn er stecken geblieben wäre oder wenn er sich auf die Nase gelegt hätte, aber er tat mir den Gefallen nicht. Direkt nach der Moddergrube ging es in die Waagerechte. Ein niedrig gespanntes Gitter über matschigem Untergrund ließ die Strongman-Kandidaten für ein paar Meter zu Krabbeltieren werden. Mein Läufer schaute sich vom Vorkrabbler eine Krebskrabbeltechnik ab, bei der er wieder auf Zehenspitzen und Händen lief. Da wirkte er schon geschickter als in der Röhre.
Danach durchquerten wir dann ein längeres Stück mit wadenhohem kalten Wasser. Ich sah wieder nichts, wurde aber wenigstens wieder einigermaßen sauber. In mir klumpten sich dann allerdings Schlamm, Sand und Steinchen zu einer Massageeinlage zusammen. Ein paar Sandhindernisse noch und dann wurde ich grob ausgeleert. Hach - so fühlte ich mich wieder besser und mein Läufer musste nicht mehr laufen wie auf halben Tennisbällen. Ein kurzes Stück weiter hatten wir dann die Runde geschafft.
Unter dem Start-Ziel-Banner stand der "Ausbilder Schmidt", ein Comedy-Fuzzi in alten Bundeswehrklamotten. Mein menschlicher Inhalt machte einen auf lustig und brüllte ihm den Ausbilder-Schmidt-Standard-Spruch "Mor - gen, du Lu - sche!!" entgegen und bekam ein megaphonverstärktes, herzhaftes "Halt - die - Schnau - ze!!!" zurück. Dem Volk gefiel's, mein Läufer grinste und begab sich bananekauend auf die zweite Runde, auf der es noch ein paar Shelter-Überquerungen mehr gab. Erstaunlicherweise sah man immer mehr gehende Teilnehmer, die sich vielleicht zu früh verausgabt haben. Der Typ in mir war aber noch recht locker und fit. Wahrscheinlich machten sich jetzt die profilierten Trainingsläufe bemerkbar. Die Shelter überquerte er noch recht flott. Und auch über die Strohhindernisse und die Mauer war er ruck-zuck drüber. Nach dem, wie er sich in der Schule beim Turnen angestellt hatte, habe ich da Schlimmeres befürchtet. So machten wir noch dutzende Plätze gut, ohne uns wirklich anzustrengen.
Ich erhielt nochmals Fangopackungen und Kneippanwendungen, wurde nochmals eingematscht, paniert, gerubbelt, durchschlammt, gewässert und sandbefüllt. Kurze Zeit später war das Abenteuer dann beendet. Nass und schmutzig, aber glücklich, brachte ich meinen Inhalt ins Ziel. In mir steckte ein zufriedener Läufer, der mich später eintütete und für neue Schandtaten wieder mit nach Hause nahm. Und auch ich hatte meinen Spaß.
Jetzt stehe ich grob gereinigt neben meinem Linksfußpartner auf dem Abtropfgitter und werde den daheimgebliebenen Laufschuhkollegen einiges zu erzählen haben, wenn ich wieder ins Regal komme. Schließlich bin ich ja jetzt ein Strongshoe. Und vielleicht darf ich ja im kommenden Jahr noch einmal ran. Mein Läufer hat sich nämlich schon wieder vormerken lassen...
I wie Iserlohn
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Für den Buchstaben I musste ich nicht weit fahren: etwa 20 Kilometer
Richtung Osten und ich war in Iserlohn, der mit rund 100.000 Einwohnern
größten Stadt ...
4 Kommentare:
Hallo Stefan,
da haste den alten Knaben und seinen Kumpel aber ne Menge erleben lassen.
Glückwunsch an euch drei!
Gruß
Georg
Glückwunsch zum bestandenen und überlebten StrongManRun !
Ich war auch dabei *mit nahezu NEUEN* Schuhen, weil ich (Dank Schweinehund) davor nicht trainiert habe *lach
Die Waschmaschine konnte sie vor dem Mülleimer bewahren.
Weiterhin viel Spaß beim laufen und vielleicht bis zum nächsten StrongManRun !
Liebe Grüße
Swana [512]
Wieder ein gelungener "Erlebnis"-Bericht aus der Bodensicht ;-))
Christian
Schöner Bericht vom Schuh - Ihr Strongmänner seid schon alle bekloppt;-)
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