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~ Nicht das Beginnen wird belohnt sondern einzig und allein das Durchhalten ~______
(Katharina von Siena)

Dienstag, 27. Oktober 2009

Williger Geist, schwaches Fleisch – Bericht zum Röntgenlauf

Vorgeplänkel:

Der Röntgenlauf. 63,3 Kilometer durch das bergige Bergische Land. Mein Ziel seit 2 Jahren.

2007 und 2008 habe ich die Teilnahme aus verschiedenen Gründen canceln müssen.
Jetzt, 2009, sollte es endlich soweit sein. Den Termin am 25.10. hatte ich mir frühzeitig als Höhepunkt meines Laufjahres notiert, doch die Vorbereitung verlief nur mittelprächtig.
Geplante Trainingsmarathons fielen erkältungsbedingt aus, beim Sammeln von Höhenmetern musste ich zurückstecken, der 6-Stunden-Lauf zwei Wochen vor dem Röntgenlauf verlief eher suboptimal und auch das Gewicht war höher als es sein sollte.

Meine Gefühlswelt schwankte in den Vorwochen zwischen Vorfreude und Respekt vor der Strecke, zwischen Zuversicht und Angst vor einem DNF, zwischen Hoffen und Bangen.
Läufe über 63,3 km und mehr hatte ich in den letzten Jahren zwar schon ein paar absolviert, aber immer ohne wirklichen Zeitdruck. Auch Läufe mit ordentlich Höhenmetern hatte ich schon hinter mir, aber nie weiter als die Marathondistanz. Diesmal sollte alles zusammenkommen.

Mir war klar, dass ich wohl am Ende des Feldes rumkrebsen würde und dass sowohl die geforderte Marathon-Durchgangszeit von 5:30 Stunden als auch der offizielle Zielschluss von 9:00 Stunden ein Problem werden könnten.
Doch kneifen wollte ich nicht, sondern mich der Herausforderung stellen und kämpfen.

Wer kämpft kann verlieren.
Wer nicht kämpft, hat schon verloren.

Nachdem ich am Vorabend bereits meine Zehen abgetaped hatte schlief ich mit einem guten Gefühl ein. Die Zweifel waren zurückgedrängt, die Vorfreude auf den Lauf überwog. Der Zieleinlauf beim Ultra war fest in meinem Hirn verankert. Das war das Ziel.
Ich spürte, dass es ein besonderer Tag werden könnte, dass ich mein Ziel erreichen kann.
Der Wille war da.

Yes, i can!


Der Lauftag:

Da ich früh genug am Sportzentrum Hackenberg in Remscheid-Lennep eintraf fand ich auch noch problemlos einen Parkplatz, traf auf Horst an seinem Schuhsenkel-Stand, quatschte kurz mit Pete und holte als Voranmelder warteschlangenlos unter dem Schild „Ultramartathon“ meine Startnummer ab. Ob das zusätzliche „t“ mitten im Wort ein Streich des Fehlerteufels war oder sich vielleicht von „Marter“ ableitet blieb mir leider unbekannt.




Ein Tombolalos durfte ich auch ziehen. „Leider verloren“. Hoffentlich kein Omen für den Lauf...
Mit der Startnummer gab es auch das chice Röntgenlauf-Funktionsshirt. „Fällt klein aus“ sagte man mir. „Stimmt“ merkte ich bei der schnellen Anprobe, kurz vor dem komischen reißenden Geräusch im Gewebe. Die Shirts waren wohl eher was für schmale Schultern.

Mit breiten Schultern stand ich dann um 8:30 Uhr im Startbereich. Bereit, es mit den 63,3 Kilometern und den ungefähr 1000 Höhenmetern – die Angaben variierten da – aufzunehmen.
Um mich herum mehrere hundert Läufer mit weiß unterlegten Startnummern für den Halbmarathon, grün unterlegten für die Marathondistanz und denen auf blauem Grund für die volle Dröhnung.



Das Wetter präsentierte sich nahezu optimal: ca. 14° C und trocken. So durfte es gerne bleiben – was es dann auch tat.
Nach dem Start kam dann fast sofort der erste Anstieg, bevor es auf eine Schleife hinunter nach Remscheid-Lennep ging. Irgendwo vor mir am Berg sah ich „Kolibri“ von den Streakrunnern und eine Gruppe der Dortmunder „Endorphinjunkies“, verlor sie aber zunächst wieder aus den Augen.
Auf einem Bergabstück kam mir das Spitzenfeld schon wieder entgegen. Meine Augen scannten das entgegenkommende Laufvolk nach bekannten Gesichtern ab – leider vergeblich.



Lennep beeindruckte durch eine nette Atmosphäre mit schieferverkleideten Häusern, grünen Fensterläden und anfeuerndem Publikum.
Nachdem es nach einer kleinen Ortsrunde den Berg wieder hinauf und wieder hinunter ging und man nach ungefähr 5 Kilometern wieder an Startbereich vorbei kam ging es hinaus ins Ländliche auf den Röntgenweg, dem der Großteil der Laufstrecke folgte. Das noch dicht zusammen laufende Feld zog sich zunächst einen langen Wirtschaftweg hinunter.



Im weiteren Verlauf ging es immer wieder rauf und runter. Manchmal auch etwas steiler oder auf steinigen und rutschigen Wegen, aber es waren auch immer wieder flachere Passagen dabei. Ungefähr alle 5 Kilometer gab es Verpflegungsstationen, die ich von Anfang an konsequent nutzte.
An vielen Ecken, vor allem wenn man an kleinen Siedlungen vorbei kam, standen Leute und machten Stimmung. Dazu wurde auch schon mal ein Ölfass malträtiert. Und irgendwo stand tatsächlich eine Trommelgruppe und verbreitete Rhythmus übers Land.
Auffällig waren aber auch die kleinen Megaphone, aus denen überall „We are the Champions“ quäkte. Wenn man gerade eins hinter sich hatte hörte man fast schon das nächste. Das hatte was von „Hase und Igel“.

Zwischendurch traf ich mal kurz auf Mattin von den Endorphinjunkies und Streakrunner „Kolibri“ und quatschte ein paar Worte. Aber auch ohne sonstige Gespräche verlief der erste Teil des Laufes recht abwechslungsreich. Mal über Land, mal durch den Wald oder einen kleinen Park. Das Ganze gelegentlich auch mit Fernblick oder rutschigen Pfaden.

Irgendwo, wohl so bei Kilometer 18, stand dann ein Schild, das auf eine „Prosecco-Pause in 300 Metern“ hinwies. Was ich für einen Scherz hielt war aber Realität: mitten im Wald am Hang gab es den privaten Proseccostand tatsächlich.
Ich beschränkte mich während des Laufs bei der Flüssigkeitsaufnahme allerdings lieber auf Tee, Iso und später Cola und ließ deshalb die Finger von der Puffbrause.


















Nach 265 Metern auf- und 420 Metern abwärts erreichte ich nach etwa 2:30 Stunden das Halbmarathonziel am Clemenshammer. Während die meisten Starter das Rennen hier nach 21,1 Kilometern unter dem Applaus des Publikums beendeten ging es für die Marathonis und Ultramarathonis nach rechts Richtung Wald.
Schlagartig war es ruhig, das Teilnehmerfeld ausgedünnt.
Ich fühlte mich noch ganz gut und war im Soll: bis zum „Cut Off“ am Marathonziel hatte ich jetzt 3 Stunden für den nächsten Halbmarathonabschnitt. Das sollte reichen, zumal ich vorher irgendwo etwas von „Erholungsdrittel“ gelesen habe und Teil 1 eigentlich schon nicht sonderlich schwer fand. Auch das Höhenprofil sah mit 272 Metern hoch und 229 Metern runter nicht so wild aus.

Ich sollte mich täuschen. Es kam mir so vor, als wäre es dann zumindest anfangs des Mitteldrittels fast nur noch auf und ab gegangen. Meistens nicht steil, aber flache Erholungspassagen hatten Seltenheitswert. Ich fand keinen Rhythmus, meine Oberschenkel wurden „sauer“ und Gehpausen immer häufiger.
Irgendwo lief ich auf einen Pfad zu, der sich in zackigen Serpentinen den Berg hochzog und mit Stahlgeländern gesichert war. Mit entfuhr irgendwas wie „Die sind wohl bekloppt!“ – aber es half ja nichts. Teilweise hatte ich selbst Mühe zu gehen und musste kurz mal stehend verschnaufen.



Der Blick zur Uhr bei Kilometer 30 verhieß dann nichts Gutes: mit 3:54 Stunden lag ich genau in dem Schnitt, der so eben das Tor in den dritten Abschnitt öffnen und den „Cut Off“ am Marathonziel verhindern sollte, wurde aber immer langsamer. Oh oh – das würde wohl knapp werden. Aber ich hoffte auf ein paar Minuten Toleranz.
Etwas erfreulicher war da schon der imposante Blick auf die Müngstener Brücke, ebenfalls ungefähr bei Kilometer 30, die dort auf 465 Metern Länge über die Wupper und auch den Röntgenweg führt. Mit 107 Metern ist sie die höchste Stahlgitterbrücke Deutschlands.




















Wenig später konnte man an einem Verpflegungsstand auch noch einen Blick auf Schloss Burg erhaschen.


Um mich herum waren jetzt nur noch wenige Läufer. Drei sah ich aber immer wieder, die ebenfalls zwischen Gehen und Laufen wechselten. Mit einem von ihnen, einem Holländer, kam ich während einer gemeinsamen Gehpause ins Gespräch. Er beschrieb seinen Zustand recht passend mit „The hills killed me“. Ich konnte mich dem, auf mich bezogen, nur anschließen.
Wie ich den dritten Halbmarathon überstehen wollte wusste ich nicht. Meine Oberschenkel wollten einfach nicht mehr. Ich trieb mich aber immer wieder zum Laufen an, auch wenn ich inzwischen schon auf Flachpassagen manchmal gehen musste.

Irgendwo – räumlich für mich nicht mehr zuzuordnen – gab es auch noch ein Stück Weg, der offensichtlich neu gemacht wurde und mit einer feinen, schmierigen Lehmschicht überzogen war. Bei jedem Schritt bin ich, wie auf einer Sanddüne, wieder ein Stück zurück gerutscht.
Als ich dann bei Kilometer 40 bereits 5:30 Stunden unterwegs war wusste ich, dass es das wohl endgültig für mich war. Das Marathonziel würde ich deutlich über der geforderten Durchgangszeit und einer möglichen Toleranzgrenze erreichen, eine Ultra-Endzeit von unter 9 Stunden utopisch sein.
Die Sache war gelaufen, der Drops gelutscht.
Der Kopf begann sich auf die letzten 2 Kilometer und das vorzeitige Ende einzustellen.



Die anderen drei Läufer waren inzwischen schon ein Stück vor mir und außer Sichtweite. Ich war allein, wollte den Lauf aber in Würde zu Ende bringen und brachte die Oberschenkel immer wieder zum Laufen. Nach ungefähr 5:46 Stunden erreichte ich das Marathonziel im Freibad Eschbachtal.
Das war’s. Aus der Traum. Ende im Gelände.
Der Geist war willig, aber das Fleisch war schwach.

Ein wenig wunderte ich mich noch über den nicht gesperrten Durchlaufkanal für die Ultraläufer, sortierte mich aber brav im Zielkanal für die Sportler ein, die den Lauf hier beendeten. Der Sprecher erzählte was von „Hier kommt Stefan Schirmer vom team.laufloewe.de. Er will sich die letzten 21,1 Kilometer auch nicht mehr antun“.
Will“? Wieso „will“, dachte ich. Ich dürfte doch auch gar nicht mehr, bin doch schon längst über der Sollzeit!

Ich lief über die Zeitnahmematte, nahm Medaille und Glückwunsch eher beiläufig entgegen, machte mich auf dem Schwimmbadklo etwas frisch und trottete zum Verpflegungsstand. Nach einem Shakehands mit meiner temporären holländischen Laufbegleitung, die auch vorzeitig ausgestiegen war, biss ich lustlos in eine „Marathonschnecke“ und bestellte mir ein bleifreies Weizenbier.
Am Rande bekam ich mit, dass andere Läufer weiterhin in das letzte Drittel gingen und erfuhr dann, dass die Marathon-Sollzeit um 20 Minuten verlängert worden ist. Na toll – hätte ich das mal vorher gewusst…
Ob das an meinem vorzeitigen Laufende etwas geändert hätte, weiß ich nicht. Die Oberschenkel waren wirklich ziemlich geschlaucht und es wäre sicher eine ziemliche Qual geworden. Aber vielleicht hätte ich es wenigstens versucht, möglicherweise sogar geschafft.

So nahm ich etwas frustriert den Shuttlebus zurück zum Sportzentrum, wo strahlende Ultraläufer ihr Ziel erreichten. Das wollte ich mir aber nicht mehr ansehen, sondern verdrückte mich in die Halle. Pete, den ich zu seinem hervorragenden Ergebnis gratulieren wollte, traf ich leider nicht mehr, aber dafür Frank, den schnellen Feuerwehrmann, und Walter von den Viermaerkern aus Dortmund.
Anschließend ging’s dann Richtung Badewanne nach Hause.

Mit ein bisschen Abstand zum Lauf denke ich, dass ich mir nichts vorwerfen muss. Der Wille zum Finish war da und ich habe gekämpft. Aber eben verloren.
Zumindest sehe ich das so, auch wenn ich natürlich trotzdem einen nicht einfachen Marathon beendet habe.
Aber ich will es noch einmal versuchen, wahrscheinlich schon nächstes Jahr.
Denn ich weiß, dass ich es kann.

Yes, i can!




PS: Sorry für die teils schlechte Fotoqualität, aber aus der Bewegung heraus ging es manchmal nicht besser.

Sonntag, 25. Oktober 2009

Trostpreis

So, ich bin schon wieder zurück aus Remscheid und tippe eben schnell ein paar Zeilen, während die Badewanne voll läuft.
Neben mir liegt eine Medaille. "Röntgenlauf Bergisch-Land-Marathon" steht drauf.

Na, merkst du was?

Marathon.

Die wollte ich nicht!!

Ich wollte die vom ULTRA!!! Von den gesamten 63,3 km!!!


Nun ja - es ist aber so wie's ist. Mehr war nicht drin heute. Das Stück zwischen Halbmarathon und Marathon hat mich bzw. insbesondere meine Oberschenkel zermürbt.
Auf - ab - auf - ab - auf - ab. Teilweise steil. Kaum eine flache Passage.
Und irgendwann kann auch der Wille nicht mehr weiterhelfen, wenn die Oberschenkel "sauer" sind.
Im Marathonziel war ich dann auch über der Cut-Off-Grenze für den Ultramarathon. Eigentlich. Irgendwie aber auch nicht. War aber auch besser so. Vielleicht aber auch nicht.

Jetzt verschwinde ich aber in der Wanne und lasse euch diesbezüglich in Verwirrung zurück.
Das erhöht schließlich die Spannung auf den Bericht, der dann in den nächsten Tagen kommt. ;-)


Freitag, 23. Oktober 2009

Sturmlauf

Vom Nachmittagsspaziergang her weiß ich, was mich draußen erwart, als ich am frühen Abend von der Ferienwohnung in Cuxhaven zu einem kurzen Lauf entlang der Nordsee aufbreche: bewegte See, Gischtkronen und Windstärke 8, in Böen 10.
Da weiß auch der meteorologische Laie: das ist mehr als ein Karnickelpups.




Sturmspaziergang an der Nordsee



Nach zwei Minuten erreiche ich die Grimmershörnbucht, überquere den Deich und stelle fest, dass zumindest der Weg am Wasser wieder belaufbar ist, der am Nachmittag noch von der stürmischen See überspült wurde. Aber durch die Ebbe hat sich das Meer inzwischen etwas zurückgezogen und gibt den Weg wieder frei.
Ich wende mich nach links Richtung Kugelbake, um zunächst gegen den Wind zu laufen. Dieser drückt direkt mit Macht von vorne. Ich stemme mich den Naturgewalten entgegen und erlaufe mir Meter um Meter. Viel schneller als ein Walker der Frankfurter-Kranz-Klasse bin ich dabei nicht. Es fühlt sich so an, als hätte ich ein dickes Gummiband im Rücken, das versucht, mich zurückzuziehen.

Der Wind findet ein Schlupfloch unter die Jacke und bläht diese so auf, dass ich aussehe wie ein schwarzes Michelin-Männchen. Nieselregen peitscht wie kleine Nadelstiche in mein Gesicht. Oder sind es vielleicht Gischttropfen?

In Höhe der Kugelbake erreiche ich Sandstrand und Watt und laufe auf dem asphaltierten Weg weiter Richtung Cuxhaven-Duhnen. Durch die leichte Richtungsänderung kommt der Wind jetzt seitlich. So lässt es sich besser laufen, allerdings wird mir jetzt der Sand ins Gesicht geblasen und sorgt dafür, dass meine rechte Gesichtshälfte gesandstrahlt wird.
Einige Unentwegte buddeln tatsächlich im Watt, aber die meisten der Touristen sitzen im warmen Restaurant, stehen windgeschützt herum oder gehen dick eingemummelt spazieren.
Was die wohl über den Typen denken mögen, der da durch den stürmischen Wind läuft? Letztendlich ist es mir aber auch egal, denn ich habe mich bewusst für einen „Sturmlauf“ entschieden, denn wann hat man so etwas in der Heimat schon?

Da die Knie ein klein wenig wegen der Radtour am Vortag jammern drehe ich am Strandhaus Behrens um und kriege das Gesicht jetzt von der anderen Seite mit Sand gestrahlt.
Während ich wieder auf die Kugelbake zulaufe freue ich mich schon auf den Rückenwind, der mich danach erwarten wird. Nach der Biegung ist es dann soweit.

Puste, Wind, puste! Lass mich fliegen!

Es ist, als würde er am Rücken schieben und mir von hinten in die Beine greifen und sie etwas anheben. Ich nehme Fahrt auf und bedauere den Radfahrer, der mir entgegen kommt und sich gegen den Wind stemmt, der mich gerade vorantreibt. Mein Tempo ist deutlich höher. Es macht Spaß, so durch die Bucht gepustet zu werden.

In Höhe des Deichüberganges ist das kurze Vergnügen aber leider wieder vorbei und die letzten paar hundert Meter bis zur Ferienwohnung sind dann wieder windgeschützter.
Als ich mir dort mit dem Finger durch das Gesicht fahre merke ich, wieviel Sand dort klebt. Wahrscheinlich könnte ich Muster hineinmalen und ein Peeling machen. Ich entscheide mich dann aber doch für die heiße Dusche.

So nervig Wind beim Laufen manchmal auch sein kann: so ein kleiner Trainingslauf bei stürmischem Wind ist eine tolle Sache. Und ich beneide diejenigen ein wenig, die dieses Vergnügen häufiger haben können.

Mittwoch, 21. Oktober 2009

Und ewig grüßt der Otter... - 6 Stunden beim Otterndorfer "Gezeitenlauf"

Das sind Kombinationen, wie ich sie mag: in den Urlaub fahren und dort an einer Laufveranstaltung teilnehmen.
Und als erklärter Fan der Nordsee und insbesondere des Ortes Cuxhaven bot es sich an, eine Urlaubswoche in Cuxhaven zu buchen und „nebenan“ in Otterndorf am 6-Stunden-Lauf teilzunehmen.
Gedacht war dieser für mich als Trainingslauf und eine Art Generalprobe für den Röntgenultra Ende Oktober. Deshalb wollte ich nicht „volle Kraft voraus“ laufen, aber andererseits auch nicht zu viel trödeln. In meinem Hinterkopf hatte sich daher klammheimlich die 50 km-Marke als Ziel eingeschlichen.
Nachdem Kris und ich bereits am Vortag unsere Unterkunft bezogen und abends einen wunderbaren Sonnenuntergang genießen konnten begrüßte uns das Wetter am Renntag von der weniger läuferfreundlichen Seite. Und auch die kurze Fahrt von Cuxhaven nach Otterndorf gestaltete sich schwieriger als erwartet, da meine halbwegs vorhandenen Ortskenntnisse durch zahlreiche Baustellen und offensichtlich neue Routenführungen gründlich durcheinandergeschüttelt wurden. So kamen wir erst kurz vor dem Start auf dem Parkplatz an, mussten auf dem Weg zur Anmeldung noch den Laufschritt einlegen und kriegten gerade noch unsere Startnummern angeheftet bevor es losging.
Zum Pullern blieb da leider keine Zeit mehr.


Bekleidungstechnisch hatte ich mich schnell umstellen müssen. Nachdem ich 3 Tage vorher in der westfälischen Heimat noch in kurzen Sachen bei 21° C gelaufen bin, stieg das Thermometer an diesem 10. Oktober auf gerade mal 8° C. Die fühlten sich aufgrund des nordseetypischen Windes, der zeitweise böig wehte, aber gerade mal wie 5° C an.
Das bedeutete selbst für mich, der eigentlich nicht so schnell in lange Sachen schlüpft, lange Tight, wind- und regendichte Jacke (immerhin zunächst nur mit kurzen Shirt drunter) und Wintermütze. Später brauchte ich sogar noch Handschuhe.
Zumindest hat es zu Beginn des Laufs um 11 Uhr noch nicht geregnet.


Das zunächst gut 30 Teilnehmer umfassende Feld zog sich schon zu Beginn der ersten, mit 3184,43 Metern vermessenen Runde recht schnell auseinander. Auf Asphalt und Schotterwegen führte sie um eine kleine Feriensiedlung herum, die von einem Binnensee umgeben wurde. Bis auf zwei kleine Wellen war sie topfeben. Start und Ziel jeder Runde war dann an einem Zelt, in dem dick eingemummte Helfer mit Zählkarten die gelaufenen Runden notierten, die Läuferverpflegung angeboten wurde und auch für das nichtlaufende Volk ein überaus reichliches Kuchenbuffet vorhanden war.


Zu Beginn der zweiten Runde schlug ich mich dann in die Büsche und holte nach, was ich vor dem Start nicht mehr geschafft hatte. Den Anschluss an in etwa gleich schnelle Läufer verlor ich dadurch. Und aufgrund der Rundenlänge war mir klar, dass man sich erst einmal nicht wieder sehen würde. So begann dann für mich recht schnell die Einsamkeit des Langstreckenläufers.

Es blieb genug Zeit sich die Strecke genauer einzuprägen. Eigentlich eine schöne Strecke: meistens am Wasser und vorbei an Wiesen, Schilf, Deich und schicken Ferienhäusern. Im Sommer tobt hier bestimmt das Leben, aber an diesem trüben Vormittag herrschte weitgehend Ruhe in der Feriensiedlung. Nur wenige Menschen waren zu sehen, Abwechslung hatte Seltenheitswert und zu anderen Läufern gab es kaum Kontakte. Irgendwann setzte Nieselregen ein, der sich im weiteren Verlauf zu stärkerem Regen entwickelte und Pfützen auf der Strecke bildete. Dazu kam der Wind, der auf den letzten 200 Metern der Runde kräftig entgegen blies. Ein Wetter, bei dem man den sprichwörtlichen Hund nicht vor die Tür jagen würde.
So wiederholten sich immer wieder nahezu gleiche, einsame, abwechslungsarme Runden durch Regen, Wind und Kälte.
Und ewig grüßt der Otter…

In Runde 4, glaube ich, lief ich an Kris heran, die sich meist laufend und gelegentlich walkend durch den Regen kämpfte. Ein Stück der Strecke absolvierten wir gemeinsam, bevor ich mich dann wieder absetzte.
Ich hätte vollstes Verständnis gehabt, wenn sie sich bei den Bedingungen ins trockene Auto zurückgezogen hätte, aber sie hatte sich nach der ersten Runde, in der es noch trocken war, den Halbmarathon als Ziel gesetzt und zog ihr Ding jetzt tapfer und pitschnass durch. Dabei lief sie erst seit Ende September. Um es vorweg zu nehmen: mit absolvierten 7 Runden erreichte sie knapp 22,3 km, bevor sie für sich dann den Lauf beendete. Ich war ziemlich stolz auf sie.


Mich ergriff im Laufe des Laufs der „Ultrablues“ und mir wurde auch klar, dass mir kleinere Runden mit mehr Läufern eher liegen. In Runde 8 tat sich dann ein größeres Motivationsloch auf und ich legte erste Gehpausen ein. Wind und Regen hatten die Oberschenkel ausgekühlt, leichte Magenprobleme traten auf. Pfützen bildeten sich auf den Wegen.
Nach 3:03 Stunden, einschließlich einer kleinen Umkleidepause, hatte ich diese Runde und somit knapp 25,5 km hinter mir und mir war klar, dass ich mich von der 50 Kilometer-Marke verabschieden konnte.


Auch in Runde 9 verfiel ich immer wieder in Gehpausen, bis ich mich selbst mal verbal anraunzte, dass ich mich doch zusammenreissen solle. Das hatte ich vorher noch nie gemacht, aber anscheinend half es ein wenig.
Zu Beginn der 10. Runde legte ich trotzdem am direkt an der Strecke geparkten Auto erst mal eine längere Pause ein, in der ich unter anderem vom kurzen Shirt auf lang umstieg, Handschuhe raussuchte, nasse Socken gegen trockene tauschte, die Füße neu einfettete und erstmals bei einer Laufveranstaltung den MP3-Player rauskramte, um in den folgenden Runden durch flotten Rhythmus im Ohr dem sinngemäß grüßenden Otter zu entfliehen.
Der Garmin zeigte mir später für diesen Pausenkilometer eine Laufzeit von 29:49 Minuten an.


Nachdem ich mich wieder in Bewegung gesetzt hatte lief es etwas besser.
Das Ziel war neu definiert: ein Marathon sollte es noch werden, dann sollte es aber auch reichen. Der Regen wurde irgendwann weniger und verschwand dann auch, Feriengäste bezogen ihre Häuser, Campingurlauber trafen ein und schmissen den Grill an und immer mehr Menschen trauten sich zu einem Deichspaziergang nach draußen. Einige neue Gesichter von Läufern und Walkern kürzerer Strecken tauchten auf der Strecke auf und verschwanden wieder.
Nach 5 ½ Stunden stellte das Orga-Team den Streckenverlauf um, damit die anschließende Restmetervermessung leichter durchzuführen war.
Es ging jetzt über eine 472,04 Meter lange Runde.
Ich hatte inzwischen 13 große Runden absolviert, hängte noch zwei kleine Runden dran und beendete den Lauf nach offiziellen 42,342 Kilometern dann vorzeitig.


Zusammen mit Kris löste ich danach die Gutscheine für einen Kaffee und ein Stück Kuchen ein, die im Startgeld von gerade einmal 10 Euro enthalten waren. Es war noch reichlich Kuchen da, aber das mir angebotene zweite Gratisstück lehnte ich dankend ab; mein Magen war noch nicht so richtig aufnahmefähig. So musste ich auch „Laufgott“ Thomas aus der „Runnersworld Community“, auch bekannt als altes Laufforum „Laufen-Aktuell“, enttäuschen. Er hatte als Mitveranstalter extra Frikadellen besorgt, damit „Martinwalkt“ Martin und ich uns nach einem Lauf endlich mal gemeinsam eine Frikadelle und ein Bier einverleiben konnten, was wir uns schon eine Weile vorgenommen hatten. Aber Martin konnte krankheitsbedingt nicht starten und verzichtete aufgrund des Wetters auf das Zuschauen. Und mir war einfach nicht nach Frikadellen, so dass Thomas die Fleischklopse anderweitig an den Mann bringen musste. Zitternd vor Kälte wartete ich dann noch auf meine optisch ansprechende Urkunde und verabschiedete mich danach Richtung Ferienheimat.


Die Ergebnisliste führte hinterher 73 Teilnehmer auf, von denen 52 mehr als die Halbmarathondistanz liefen oder walkten.
Ich fand mich auf Rang 24 wieder, was jedoch ziemlich unerheblich war.
Mein ursprüngliches Ziel, als Training nahe an die 50 Kilometer heran zu laufen und die Marke vielleicht zu erreichen, konnte und wollte ich aufgrund der Bedingungen nicht halten.
Was blieb also für mich?
Neben einem weiteren Marathon für die Statistik die Erinnerung an einen für mich selbst eher eintönigen und zermürbenden Lauf, der aber gut organisiert war und mehr Teilnehmer verdient gehabt hätte, zumal er für einen guten Zweck war.
Die Erkenntnis, dass ich mental in der Lage bin, trotz Einsamkeit auf der Strecke und ganz bescheidenen Wetters aus Motivationslöchern wieder herauszukommen und den Lauf bis zu einem zufrieden stellenden Ziel durchzuziehen.
Und die weitere Erkenntnis, dass der Röntgenlauf-Ultra nach der mittelmäßigen Generalprobe beim Gezeitenlauf ein hartes Stück Arbeit werden wird.
Da wird dann vermutlich auch wieder der Kopf helfen müssen, wenn der Rest des Körpers nicht mehr will.


[Fotos/Karte: teils privat, teils mit freundlicher Genehmigung von www.gezeitenlauf.de]

Mittwoch, 7. Oktober 2009

Zwischen Hoffen und Bangen

Jetzt sind es nur noch gut 2 Wochen bis zu dem Lauf, der für mich den läuferischen Höhepunkt des Laufjahres bringen soll: ein erfolgreiches Finish beim Röntgenlauf-Ultramarathon über 63,3 km mit ordentlich Höhenmetern.
Dem Ganzen sehe ich allerdings mit etwas gemischten Gefühlen entgegen.
Von den geplanten drei Trainingsmarathons in den letzten Wochen konnte ich nur einen laufen, da mir eine Erkältung in die Quere kam.
Beim Sammeln von Höhenmetern musste ich ebenfalls zurückstecken.
Und das Gewicht sollte zu diesem Zeitpunkt auch schon deutlich niedriger sein als es tatsächlich ist

Viel Zeit zum Aufholen der Defizite, soweit dies überhaupt möglich ist, bleibt nicht mehr.
Und in meinem Hinterkopf weiss ich, dass es in etwa gleich starke Läufer zwar schon in gut 8 Stunden geschafft haben, andere aber auch erst nach dem offiziellen Zielschluss ins Ziel gekommen sind oder gar nach der Marathondistanz den Lauf beenden mussten.
Deshalb schwankt meine Gefühlswelt in Bezug auf den Röntgenlauf zwischen Vorfreude und Respekt vor der Strecke, zwischen Zuversicht und Angst vor einem DNF, zwischen Hoffen und Bangen.

Am 10.10. gibt es aber zur Vorbereitung noch einen 6-Stunden-Lauf: den „Gezeitenlauf“ in Otterndorf an der Elbmündung. Letztendlich ist dieser auch als Trainingslauf und eine Art Generalprobe für den Röntgenultra gedacht, weshalb ich ihn auch nicht „auf der letzten Rille“ laufen will. Trödeln will ich aber andererseits auch nicht, so dass ich ihn schon halbwegs ernsthaft absolvieren möchte.
Meine Bestmarke wird aber sicher nicht in „Gefahr“ sein; dazu fehlt mir die Form. Es werden auch nur volle 3,25 km-Runden gewertet.
Was in Anbetracht all dieser Umstände möglich sein wird warte ich mal ab. Kleine Ziele habe ich natürlich.

Da ich anschließend noch 1 Woche Urlaub an der Nordsee habe bedeutet das mangels Internet eine Blogpause vom 09.10. bis voraussichtlich 19.10..
Einen Bericht zum Lauf gibt es wenn ich wieder zurück bin.
Und vielleicht kann ich dann ja auch noch von einem entspannten Morgenlauf am Meer erzählen - mit orangefarbenem Himmel und Nebel auf den Wiesen...

Montag, 5. Oktober 2009

Irgendwann

Der Tag erwacht mit dunkelorangenem Himmel im Osten.
Die Konturen der Bäume zeichnen sich wie Schattenrisse dunkel gegen das Firmament ab.
Auf einer Wiese liegt ein Nebelteppich; vielleicht einen Meter hoch. Ich stelle mir vor, wie ich auf einem schmalen Pfad über die Wiese laufe und den Nebel dadurch in zwei Hälften teile.
Der Blick geht Richtung Süden. Große und kleine Wolkenbänder werden durch die aufgehende Sonne von unten angestrahlt und schimmern in verschiedenen Orangetönen. Sie erinnern mich an zerknitterte, reflektierende Alufolie.
Die Augen schweifen umher und saugen diesen Morgen auf.
Gerne würde ich diese Anblicke auch im Foto festhalten.

Ich freue mich auf die Ruhrauen. Ob dort auch Nebel sein wird?
Die Antwort folgt Minuten später. Links schwebt eine dicke Nebelwand über den Auen, während auf der rechten Seite nur ein kleines, zerzaustes Nebelband direkt über dem Wasser liegt. Es sieht aus, als hätte man Zuckerwatte aus der Ruhr gezogen.
Herrlich bei so einem Morgen zu laufen.

Leider sitze ich nur im Auto und bin auf dem Weg zur Arbeit.
Mir wird wieder bewusst, dass ich viele wunderbare Momente verpasse, weil ich hauptsächlich nachmittags und abends laufe.
Aber irgendwann wird der Tag kommen, an dem ich in den Ruhrauen laufen werde, wenn der Tag erwacht. Wenn der Nebel über dem Wasser liegt. Und wenn der Horizont orange gefärbt ist.

Irgendwann.

Ich freue mich darauf.

Donnerstag, 1. Oktober 2009

Feierabendlauf

Feierabend. Ich setze mich ins Auto, um zum Laufen an den See zu fahren.

Es ist grau, trüb und ungemütlich. Es herbstelt und sieht nach Regen aus.
Ich bin müde.
Eigentlich würde ich ganz gerne nach Hause fahren und mich ein paar Minuten auf's Ohr hauen.

Die Disziplin siegt. 15 Minuten später bin ich am See, ziehe mich um, mache mir Musik auf's Ohr und laufe los.
Die Lustlosigkeit habe ich schon längst überwunden. Der Schweinehund hat keine echte Chance.

Heute darf es mal etwas zügiger sein. Die Beinmuskulatur lässt mich die Läufe der letzten Tage spüren, aber das vergeht recht schnell. Es wird ein zügiger Dauerlauf, bei dem ich einige Läufer einsammel. Nicht dass das wirklich wichtig wäre, aber es ist angenehmer als selbst eingesammelt zu werden.
Nach der ersten Seerunde der Blick zur Uhr: zügig, ja - aber nicht ganz so flott wie gedacht.

Runde zwei darf noch etwas flotter sein. Es macht Spaß mal wieder etwas Gas zu geben. Ich sammle wieder ein und kann das erhöhte Tempo auch an den Steigungen halten.
Nach der Seerunde wieder der Blick zur Uhr: deutlich flotter als die erste Runde. Ich bin zufrieden und mache mich auf den Heimweg.

Es ist grau, trüb und ungemütlich. Es herbstelt und sieht immer noch nach Regen aus.
Ich bin müde. Ich gähne.
Der Kopf aber ist frisch. Gut durchgelüftet. Voller Sauerstoff.
Gut dass ich laufen war. Zu Hause hätte ich einen schönen Lauf verpasst.